Hamburg Stadt der guten Arbeit – Zeit, dass sich für die studentischen Beschäftigten etwas tut!

Forderungspapier an den Hamburger Senat von der gewerkschaftlichen Initiative TVStud Hamburg, unterstützt durch Personalräte und Studierendenvertretungen der Hamburger Hochschulen, den Gewerkschaften ver.di und GEW sowie der Mittelbau-Initiative Hamburg.
(Vollständige Liste siehe unten)

Wir, die studentischen Beschäftigten und Aktiven der TVStud-Bewegung, fordern den Hamburger Senat und im Besonderen die Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Bündnis90/GRÜNE) dazu auf, dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vorhaben gerecht zu werden und endlich die Arbeitsbedingungen der studentischen Beschäftigten der Freien und Hansestadt Hamburg „gemeinsam mit den Gewerkschaften und Hochschulen“ zu verbessern. Gemäß dieser Absichtserklärung und Ihrer eigenen Definition von „guter Arbeit“ erwarten wir, dass Sie dem Ausschluss studentischer Beschäftigter von Tarifverträgen und der Vorenthaltung demokratischer Mitbestimmungsrechte genau wie dem Wildwuchs von Kettenbefristungen endlich ein Ende setzen.
   Denn auch die bei der Hansestadt beschäftigten Studierenden, welche pro Jahr in über 8.000 Arbeitsverträgen einen unverzichtbaren Beitrag zum Lehr-, Forschungs- und Behördenbetrieb leisten, haben gute Arbeitsbedingungen verdient. Gute Arbeit, das bedeutet die Möglichkeit zur Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten und die Beschäftigung nach Tarifverträgen. Nun ist es Zeit für Sie zu handeln und Ihrer Vorbildrolle als öffentliche Arbeitgeber*innen nachzukommen.

Wir begrüßen es, dass sich Andreas Dressel (SPD) als Hamburger Finanzsenator und stellvertretender Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) in der vergangenen Tarifrunde der Länder auf Seiten der Arbeitgeber für die Tarifierung studentischer Beschäftigter stark gemacht hat und unsere von ver.di und GEW unterstützten Forderung nach einem bundesweiten TVStud dort auch weiter voranbringen will. Denn es ist vollkommen inakzeptabel, dass sich der Arbeitgeberverband deutscher Länder seit Jahren gegen die Tarifierung der rund 300.000 studentischen Beschäftigten sperrt. Der Arbeitgeberverband will Tarifpartei sein, dann soll er sich endlich auch so verhalten und sich bundesweit auf Tarifverhandlungen einlassen oder den Weg für Tarifverhandlungen auf Landesebene freimachen.
   Gleichzeitig erwarten wir aber, dass der Hamburger Senat, im Falle einer Nichteinigung unter den Landesregierungen und damit einer Fortsetzung der Blockadehaltung auf Bundesebene, bereit sein wird, in Hamburg einen eigenen TVStud zu verhandeln. Denn ob in Hamburg oder bundesweit: Es ist höchste Zeit für die Tarifierung der studentischen Beschäftigten. TVStud jetzt!

Zusätzlich zu den wichtigen Verhandlungen über einen TVStud auf Landes- oder Bundesebene, gibt es zwei politische Maßnahmen, mit denen schon jetzt die Arbeitsbedingungen der studentischen Beschäftigten ein stückweit entprekarisiert und bedeutsam verbessert werden können. Konkret erwarten wir von Ihnen die Umsetzung der folgenden Punkte:

1. Entfristung und Mindestvertragslaufzeiten für studentische Beschäftigte

2. Die Einführung von gesetzlichen Mitbestimmungsrechten für studentische Beschäftigte. Es ist Zeit für »Studentische Personalräte«

 

Eine detaillierte Ausführung der beiden Forderungen und die Begründungen ihrer besonderen Dringlichkeit entnehmen Sie bitte dem Folgenden.

Zu 1.: Entfristung und Mindestvertragslaufzeiten

Studentische Beschäftigte der Hansestadt Hamburg befinden sich in einer Endlosschleife von Kettenverträgen. Die Vertragslaufzeiten belaufen sich in über 70% der Fälle auf 2 bis maximal 6 Monate (Drucksache 21/15928, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 19.02.2019; Drucksache 22/4760, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 04.08.2021). Nicht selten sind studentische Beschäftigte dabei fortlaufend auf derselben Stelle beschäftigt. Für ihre finanzielle Absicherung und um Vertragslücken zu verhindern arbeiten sie teilweise sogar auf mehreren Stellen gleichzeitig. Diesem System sollte nicht nur aufgrund des bürokratischen Unsinns durch den umfänglichen administrativen Zusatzaufwand, sondern darüber hinaus aus den folgenden Gründen ein Ende gesetzt werden:

Machtasymmetrien aufbrechen, um die Einhaltung von Arbeiternehmer*innenrechten zu gewährleisten
Kettenverträge verstärken die Abhängigkeit von Vorgesetzten und begünstigen damit strukturell die Unterwanderung von Arbeitnehmer*innenrechten. Aus zahlreichen anderen Bereichen der Arbeitswelt ist bekannt, dass das individuelle Einklagen von Rechten bei dauerhaft befristet beschäftigten Arbeitnehmer*innen oft ausbleibt. Diese strukturell bedingte Machtasymmetrie muss durch die Schaffung sicherer Beschäftigungsverhältnisse aufgebrochen werden. Vertragslaufzeiten wirken sich auf die Einhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten aus.

Beschäftigungssicherheit schaffen um sozialer Selektion in der Wissenschaft und damit Bildungsungleichheit entgegenzuwirken
Das System aus Kettenverträgen und dauerhaften Befristungen trägt dabei auch zur sozialen Schieflage bei. Die Hamburger Studierenden gehen durch die überdurchschnittlichen Lebenshaltungskosten im bundesweiten Vergleich auch überdurchschnittlich oft einer Erwerbstätigkeit nach (21. Sozialerhebung). Häufig und viel arbeiten dabei insbesondere jene, die aufgrund einer niedrigen Bildungsherkunft stärker darauf angewiesen sind, sich Leben und Studieren in Hamburg selbst finanzieren zu können (21. Sozialerhebung des Studierendenwerks Hamburg). Wer sich aber mit einem Job als studentisch Beschäftigte*r finanzieren will, ist nicht nur wegen der schlechten Entlohnung auf zusätzliche Einnahmequellen angewiesen, denn nicht jede*r studentische*r Arbeitnehmer*in kann sich eine auf nur wenige Monate begrenzte finanzielle Sicherheit erlauben. Diese Unsicherheit wirkt sozial selektiv und spiegelt sich entsprechend in der Sozialstruktur der studentischen Beschäftigten wider: Wer unter diesen Bedingungen als studentische*r Beschäftigte*r arbeiten kann, verfügt in der Regel über Privilegien, d.h. z.B. über zusätzliche finanzielle Zuwendungen von den Eltern oder durch ein Stipendium [1]. Bedenkt man, dass fast dreiviertel der Doktorand*innen vor dem Antritt ihrer Promotion als studentische Beschäftigte in der Wissenschaft begonnen haben [2], wird deutlich, welche Tragweite die soziale Selektivität dieser Form der Beschäftigung hat und damit zur Reproduktion von Bildungsungleichheit beiträgt. Ein Ende der Kettenbefristungen ist folglich auch eine Maßnahme für mehr Chancengleichheit in der Bildung.

„Wissenschaftsfreiheit“ kann nicht weiter als vorgeschobenes Argument für die prekäre Beschäftigung von Studentischen Beschäftigten gelten
Wissenschaftsfreiheit kann nicht als Argument gelten, die prekären Arbeitsbedingungen aufrecht zu erhalten. Zum einen ist dies angesichts der sozialen Selektion, die diese Bedingungen innerhalb der Wissenschaft befördern, geradezu grotesk, zum anderen zeigt Berlin, dass es auch anders geht, ohne dass der Hochschulbetrieb zusammenbricht! Denn hier regelt das Hochschulgesetz seit einigen Jahren immerhin, dass „die Beschäftigungsverhältnisse […] in der Regel für vier Semester begründet [werden]“ § 121 Abs. 3 (BerlHG).
Die Kettenbefristungen in Hamburg sind also nicht nur (ungerechtfertigter!) bürokratischer Irrsinn, sie sorgen für ein prekäres Klima, in dem Arbeitnehmer*innenrechte unterwandert werden, und sind hochgradig sozial selektiv. Wir fordern Katharina Fegebank und den Hamburg Senat dazu auf, in Hamburg grundsätzlich Entfristungen und zudem Mindestvertragslaufzeiten bei Befristung mit Sachgrund für die studentischen Beschäftigten einzuführen.

Zu 2.: Mitbestimmung durch studentische Personalräte

In einer Frage sind sich (fast) alle einig: Deutschland ist das Land der Mitbestimmung. Doch während alle Beschäftigten der Freien und Hansestadt Hamburg ihr gutes und bewährtes Recht wahrnehmen können, einen Personalrat zu wählen (aktives Wahlrecht) oder sich sogar selber zur Wahl aufstellen können (passives Wahlrecht), sind immer noch tausende studentische Beschäftigte von diesem Recht ausgenommen. Der § 4 Abs. 4 Nr. 2 des Hamburgischen Personalvertre-tungsgesetzes (HmbPersVG) schließt alle, die „als Unterrichtstutorinnen und Unterrichtstutoren oder studentische Hilfskräfte beschäftigt“ sind, von diesem Recht aus. Zwar ist der Personalrat gemäß § 7 Abs. 1 HmbPersVG zuständig für die Angelegenheiten der in der Dienstelle Beschäftigten, zu denen auch die studentischen Beschäftigten zählen, jedoch ist dieses Recht auf Mitbestimmung kaum bis gar nicht umsetzbar. Die Einführung gesetzlicher Mitbestimmungsrechte als Grundlage für die Bildung eines studentischen Personalrats halten wir aus den folgenden Gründen für notwendig:

Mitbestimmung und aktive Gestaltung der Arbeitswelt bereits im Studium erfahrbar machen
Die Tatsache, dass die studentischen Beschäftigten ihrer Interessen nicht selbst vertreten können (passives Wahlrecht) und auch ihre Vertretung nicht selber wählen dürfen (aktives Wahlrecht), führt zu einer erheblichen Repräsentationslücke. Mitbestimmung ist dadurch nicht nur unbekannt, sie fällt auch außerhalb des eigenen Bereichs der erfahrbaren Wirksamkeit. Diese Repräsentationslücke gilt es gemeinsam zu schließen um die aktive demokratische Teilhabe dieser großen Gruppe junger Arbeitnehmer*innen zu ermöglichen.

Echte Repräsentation und Mitbestimmung nur durch studentische Personalräte
Zum einen sehen wir einen Interessenskonflikt, wenn studentischen Beschäftigte sich bspw. durch eine*n Professor*in vertreten lassen sollen. Die Zusammensetzung der Personalräte in Hamburg trägt damit ihrer besonderen Position im Betrieb keine Rechnung. So sind Studentische Beschäftigte in mehrfacher Hinsicht besonders abhängig von ihren Vorgesetzten. Sie werden bspw. häufig nicht über reguläre Auswahlverfahren eingestellt, sondern persönlich „auserwählt“, leisten nicht selten bei ihren Vorgesetzten Prüfungsleistungen ab und sind aufgrund ihrer ökonomischen Lage im Besonderen von der Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsverhältnisse abhängig.

   Zum anderen würde, unabhängig von diesem qualitativen Problem der Repräsentationslücke, eine bloße Integration in bestehende Personalratsstrukturen, durch die Einführung eines aktiven Wahlrechts, ein quantitatives Problem nicht lösen: Die große Zahl der studentischen Beschäftigten und die noch größere Zahl der sich dahinter verbergenden Arbeitsverträge, stehen nicht in Relation zu den zu wählenden Mandatsträger*innen im Personalrat. Die jährlich rund 8.000 Arbeitsverträge wirken sich nicht einmal positiv auf die Größe der Personalratsgremien auf, da sie nicht in die Berechnung einfließen.

Arbeitsrechtliche Mindeststandards müssen abgesichert werden
Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigen uns beispielsweise die Daten einer Online-Befragung der DGB Hochschulgruppe Hamburg (26.04.2018). Darin wird deutlich: Arbeitsrechtliche Mindeststandards werden bei studentischen Beschäftigten systematisch unterwandert. Von den 187 befragten studentischen Beschäftigten gaben nur 43% an, dass bei ihnen die gesetzlichen Urlaubsbestimmungen eingehalten werden. Fast 30% von ihnen müssen Krankheitstage nacharbeiten. Diese Unterwanderung von zentralen Arbeitnehmer*innenrechten würde man im Zuständigkeitsbereich der Hansestadt Hamburg eigentlich nicht erwarten.

   Auch diese Zahlen unterstreichen, dass es einen Regulierungsbedarf gibt, welcher der besonderen Stellung von studentischen Beschäftigten gerecht wird. Personalvertretungs- und Betriebsverfassungsgesetz haben für Beschäftigten-Gruppen, die aufgrund einer erhöhten Machtasymmetrie/Abhängigkeit und ihrer besonderen Stellung im Betrieb besonders schützenswerte Interessen aufweisen, entsprechende Regelungen vorgesehen. Exemplarisch seien in diesem Kontext die besondere Stellung von zur Berufsausbildung beschäftigten Arbeitnehmer*innen (Auszubildende, Dual-Studierende und Praktikant*innen), Schwerbehinderte und Frauen genannt, welche ihre Interessen in eigenen Ausschüssen oder Gremien zur Geltung bringen können oder deren Interessenvertretung mittels einer Quotierung abgesichert wird.

Studentische Personalräte sind umsetzbar
Erfahrungswerte bei der Berücksichtigung der besonderen Lage von studentischen Beschäftigten gibt es seit vielen Jahren in Berlin. Das Berliner Personalvertretungsgesetz regelt in § 5 Abs. 2 Nr. 5 (PersVG), dass studentische Beschäftigte an ihren Hochschulen, gemäß der Anzahl ihrer Beschäftigten zur Wahrung ihrer Interessen eigene studentische Personalräte wählen dürfen. Und auch in Brandenburg baut man auf diesen Erfahrungen auf und bringt derzeit ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg, um auch dort „Studentische Personalräte“ einzuführen. Hamburg täte gut daran, es ihnen gleich zu tun und entweder das HmbPersVG zu erweitern oder durch ein eigenes Gesetz zu ergänzen.

Es wird höchste Zeit, dass auch studentische Beschäftigte in Hamburg das Recht wahrnehmen können, ihre eigenen Interessen zu vertreten und die Einhaltung ihrer Arbeitnehmer*innenrechte sicherzustellen. Die Umsetzung des Rechts auf Mitbestimmung darf dabei nicht etwa den Hochschulen überlassen bzw. an diese ausgelagert werden, sondern muss landesrechtlich geregelt werden! Wir fordern daher vom Senat der Freien und Hansestadt und im Besonderen von der Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank diese Regelungslücke auch in Hamburg zu schließen und den Weg für die studentischen Personalräte freizumachen.

Zeit, dass sich für die studentischen Beschäftigten etwas tut!

Die öffentliche Hand ist der größte Arbeitgeber von Studierenden. 44% der erwerbstätigen Studierenden in Hamburg (21. Sozialerhebung des Studierendenwerks Hamburg) gehen einer Arbeit als studentische Beschäftigte nach, wobei die Arbeit an der Hochschule für viele ihr erstes Arbeitsverhältnis darstellt. Es ist höchste Zeit, dass auch hier die Prinzipien guter Arbeit gelten und die aktive Gestaltung der Arbeitswelt ermöglicht wird, indem die notwendigen Partizipationsrechte zur Wahrung von Arbeitnehmer*innenrechten gewährt werden. Im Besonderen auch, um die Beschäftigung als SHK, WHK oder Tutor*in potenziell allen Studierenden jeder sozialen Herkunft gleich zugänglich zu machen und so zumindest von dieser Seite Bildungsgleichheit zu ermöglichen. Vertragslaufzeiten und Mitbestimmung können dabei nicht getrennt voneinander betrachtet werden, insofern ohne ein Mindestmaß an Kontinuität auch keine wirksame Mitbestimmung erfolgen kann. Der öffentliche Arbeitgeber sollte in dieser Sache eine Vorbildfunktion einnehmen, anstatt für die strukturell bedingte Unterwanderung von Arbeitnehmer*innenrechten zu stehen.

Daher fordern wir Sie dazu auf, diese Arbeitsbedingungen gemeinsam mit uns und den Gewerkschaften ver.di und GEW zu regulieren, d.h. den Weg für einen TVStud zu ebnen, für Entfristungen zu sorgen sowie Mindestvertragslaufzeiten einzuführen und gelebte Mitbestimmung durch studentische Personalräte zu ermöglichen.

Gute Arbeit nur durch Tarifverträge, lange Vertragslaufzeiten und echte Mitbestimmung!


Quellen:
[1] Jung, akademisch, prekär? Zur Situation und Lage von studentischen Beschäftigten an Hochschulen in Deutschland, Studie des iaw Bremen, i.E.
[2] Vgl. Lenger, Alexander 2009: Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital von Promovierenden. Eine deskriptiveAnalyse der sozialen Herkunft von Doktoranden im deutschen Bildungswesen, S. 121


Unterstützt durch:

  • ver.di Hamburg Fachbereich C
  • GEW Hamburg
  • Personalrat der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
  • Personalrat für des nicht-wissenschatliche Personal des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
  • Personalrat der Hochschulen für Bildende Kunst Hamburg
  • Personalrat der HafenCity Universität Hamburg
  • Personalrat der Technische Universität Hamburg
  • Landesastenkonferenz Hamburg
  • Mittelbau-Initative Hamburg

Falls weitere Personalräte gerne der Liste der Unterstützer*innen beitreten würden und/oder mit uns in den Austausch treten möchten, schreibt uns gerne eine Mail an .