“Gute Lehre braucht gute Arbeitsbedingungen – Mindestvertragslaufzeiten auch für Tutor*innen”

Mit Annahme des Antrags „Gute Arbeitsverhältnisse für studentische Beschäftigte“ (Drucksache 22/10532, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 04.01.2023) am 18.01.2023 hat die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg die Wissenschaftsbehörde (BWFGB) mit der Einführung von Mindestvertragslaufzeiten von 12 Monaten für Studentische Beschäftigte beauftragt. Passiert ist bislang noch nichts.
Das liegt auch am Widerstand von Hochschulleitungen, die versuchen weitreichende Ausnahmen zu definieren – darunter die Nicht-Anwendung der Mindestvertragslaufzeiten auf Tutor*innen. Was dies für die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Lehre bedeuten würde und warum gerade auch Tutor*innen Mindestvertragslaufzeiten von 12 Monaten brauchen, erklären wir im Positionspapier**:

“Tutor*innen sind mit einer mehrheitlichen Befristung ihrer Vertragslaufzeiten auf maximal 4 Monate [1] im Bereich studentischer Beschäftigungen eine besonders prekäre Beschäftigtengruppe. Die strukturelle Unterwanderung arbeitsrechtlicher Mindeststandards wie dem gesetzlichen Urlaubsanspruch zeigt sich in dieser Beschäftigtengruppe besonders deutlich. Auch unbezahlte Mehrarbeit ist dabei keine seltene Praxis. Dies hat nicht nur weitreichende Folgen für die Beschäftigten selbst, sondern geht auch zulasten der Lehrqualität für die ca. 120.000 Studierenden an den Hamburger Hochschulen.

Tutor*innen – eine besonders prekäre Beschäftigtengruppe

Über 40 % der in Hamburg ausgestellten Verträge mit Studentischen Beschäftigten fallen in den Bereich der Tutorienarbeit. Das Beschäftigungsverhältnis der Tutor*innen ist – ebenso wie das der studentischen/wissenschaftlichen Hilfskräfte – weitestgehend unreguliert und intransparent gestaltet. Im Bereich der studentischen Beschäftigung finden die Tutor*innen besonders prekäre Arbeitsverhältnisse vor. In rund 65 % aller Verträge mit Tutor*innen sind die Vertragslaufzeiten auf maximal 4 Monate befristet. [1] Diese mehrheitliche und dabei meist grundlose Befristung verschärft bei Tutor*innen nicht nur das Problem der fehlenden Beschäftigungssicherheit, sondern begünstigt auch die strukturelle Unterwanderung arbeitsrechtlicher Mindeststandards. Die Tutorien-Satzungen einzelner Hochschulen, die weitere Besonderheiten bezüglich der Beschäftigungsdauer, Vergütung, Urlaubsbestimmungen und des Beschäftigungsumfangs definieren, geben diese Unterwanderung mitunter sogar explizit vor: So enthält etwa die Tutorensatzung der Universität Hamburg die gesonderte Regelung einer maximalen Vertragslaufzeit von einem Jahr [2]. Der gesetzliche Anspruch auf Erholungsurlaub wird wiederum nur unter der Bedingung gewährt, dass dieser innerhalb der vorlesungsfreien Zeit genommen wird [3]. Da studentische Tutor*innen an den Hamburger Hochschulen mehrheitlich nicht länger als vier Monate am Stück und in der Regel nur in der Vorlesungszeit beschäftigt sind, besteht faktisch keine Möglichkeit den erworbenen Urlaubsanspruch zu nehmen. Diese Tatsache allein dürfte den dringenden und einheitlichen Handlungsbedarf deutlich machen.

Einberechnung von Arbeitszeit für Nach- und Vorbereitung sowie Qualifizierung und Weiterbildung? Fehlanzeige!

Von Seiten der Universitäten und Hochschulen wird die Tutorienarbeit als “Teil der hochschuldidaktischen Landkarte, [die] damit einen elementaren Beitrag zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Hochschullehre [leistet]“ bewertet [4]. Damit ist offen zugegeben, was wir schon lange wissen: Ohne die Arbeit der studentischen Tutor*innen könnte der bereits seit Jahren kaputtgesparte Lehrbetrieb in der jetzigen Form nicht länger aufrecht erhalten werden. Die von den Hochschulen geschaffenen Rahmenbedingungen der Arbeit passen nicht mit der realen Praxis der Tutorienarbeit zusammen. Die von ihnen geleistete Betreuungsarbeit endet, anders als ihre Verträge, nicht mit der Vorlesungszeit. Die Arbeit in der vorlesungsfreien Zeit wird nicht nur für die Korrektur von Studienleistungen u.Ä. gebraucht, sondern auch um die Tutorien des kommenden Semesters vorzubereiten. Das pauschale Umrechnungssystem von Arbeitszeit in Semesterwochenstunden (kurz: SWS) schafft besondere Intransparenz bezüglich der realen Arbeitszeit von Tutor*innen und leistet unbezahlter Mehrarbeit Vorschub.

Darüber hinaus können Tutor*innen keinen verbindlichen Anspruch auf Arbeitsplätze und Arbeitsmittel geltend machen, sodass sie folglich auf die Nutzung privater Technik und Arbeitsmittel angewiesen sind und die Kosten für Arbeitsmaterialien, so z.B. Druckkosten selbst tragen müssen. Die fehlende Ausstattung von studentischen Beschäftigten ist insbesondere dann nicht hinnehmbar, wenn dadurch didaktisches Material oder Hilfsmittel keinen Einsatz finden, obwohl diese zur Vermittlung der Lehrinhalte nötig wären und die Qualität der Lehre verbessern würden.

Die fachbereichsübergreifenden Erfahrungen zeigen, dass es unter den gegebenen Bedingungen schwerfällt, Nachwuchskräfte zu rekrutieren. In der Konsequenz verteilt sich die Arbeitslast auf die verbleibenden Tutor*innen und die Anzahl der zu betreuenden Studierenden vergrößert sich. Die Tutor*innen müssen die Mehrarbeit dadurch auffangen, dass sie diese ohne Aufstockung der Stundenanzahl leisten und ihren Stundenlohn damit faktisch unter die 12 € Mindestlohn drücken. Denn wenn sie es lassen, und ihre Arbeit – beispielsweise die Korrekturen von Übungsaufgaben – liegen bleibt, geht dies vor allem zulasten ihrer Kommiliton*innen. Auf diese Weise schaffen die Behörde und die Hamburger Hochschulen insbesondere im Bereich der Tutorien unattraktive Beschäftigungsverhältnisse und schlechte Lehrbedingungen.

Gute Lehre? Nur durch starke Arbeitnehmer*innenrechte!

Die Hamburger Praxis, die Tutor*innen an den Hochschulen als eigene Beschäftigtengruppe zu definieren, ist bundesweit einmalig und gehört abgeschafft. So unterscheidet beispielsweise auch das WissZeitVG nicht zwischen Tutor:innen und Hilfskräften, sondern spricht lediglich von der „Erbringung wissenschaftlicher oder künstlerischer Hilfstätigkeiten“ und impliziert damit Tätigkeiten von Tutor:innen als Hilfskrafttätigkeiten in der Lehre[5]. In einem Großteil der anderen Bundesländer erfolgt daher keine Unterscheidung bei den Einstellungspraktiken zwischen Hilfskräften und Tutor:innen. Eingestellt wird als Hilfskraft zur Unterstützung von Forschung und/oder Lehre (impliziert die Übertragung von Tutor:innentätigkeiten). Entsprechend gelten dort die Mindestvertragslaufzeiten auf Landes-[6] oder Hochschulebene[7] auch für Studierende, welche Tutorien durchführen.

Anstatt mit der Schaffung einer eigenen Beschäftigungskategorie besonders prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu zementieren, gilt es, die Beschäftigungssituation von Tutor*innen zu verbessern. Sie müssen in ihrem Status dringend den studentischen bzw. wissenschaftlichen Hilfskräften gleichgesetzt werden und ihr Tätigkeitsbereich muss mittels eines Aufgabenkatalogs in Form einer Arbeitsplatzbeschreibung klar definiert werden. In diesem Tätigkeitskatalog sollten Vor- und Nachbereitungsaufgaben festgehalten werden, um der unbezahlt geleisteten Mehrarbeit einen Riegel vorzuschieben. Erst eine konstante Weiterbeschäftigung auch während der vorlesungsfreien Zeit würde sicherstellen, dass (angehende) Tutor*innen entsprechend vorhandene Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote, wie die der HUL an der Universität Hamburg, nutzen können. Dies würde sich unmittelbar positiv auf die Qualität der Lehre auswirken. Dasselbe gilt für die Regulierung der Anzahl an Studierenden pro Tutorium mittels eines Betreuungsschlüssels. All diese Punkte verdeutlichen: Nur durch die Ausfinanzierung der Tutorien können gute Studienbedingungen und eine qualitativ hochwertige akademische Ausbildung für alle Studierenden garantiert werden.

Mindestvertragslaufzeiten von 12 Monaten wie es der am 18.01.2023 von der Hamburger Bürgerschaft angenommene Antrag „Gute Arbeitsverhältnisse für studentische Beschäftigte“ [8] vorsieht, sind auch auf Tutor*innen anzuwenden. Die Nicht-Anwendung würde eine Ausnahme von über 40 % der studentischen Mitarbeiter*innen an den Hamburger Universitäten und Hochschulen bedeuten [9]. Auch Studierende, die ihre Kommilliton*innen im Rahmen von Tutorien unterstützen, brauchen geregelte Arbeitsverhältnisse, angemessene Vergütung der von ihnen geleisteten Arbeit und Planungssicherheit.

TVStud Hamburg

Unterstützt durch:

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Fachbereich C von ver.di Hamburg
Landes-ASten-Konferenz Hamburg
Mittelbau Initiative Hamburg
Grüne Jugend Hamburg
Unicorns Hochschulgruppe
Internationaler Jugendverein Hamburg

[1] Drucksache 22/4760, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 04.08.2021.
[2] Tutorensatzung der Universität Hamburg, am 06. März 2008 durch den Hochschulsenat der Universität Hamburg beschlossen: https://www.kus.uni-hamburg.de/themen/personalservice/personaleinstellung-weiterbeschaeftigung/shk-tutoren-studierende-angestellte.html.
[3] In Wortlaut: „Der volle Erholungsurlaub kann erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten eines ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses genommen werden und auch nur in der vorlesungsfreien Zeit“ (Tutorensatzung der Universität Hamburg, §6, Abs. 5).
[4] Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen der Universität Hamburg: https://www.hul.uni-hamburg.de/qualifizierung/hul-tp.html.
[5] Siehe Urteil des LArbG Berlin-Brandenburg vom 05. Juni 2018 (7 Sa 143/18): Wissenschaftliche Hilfstätigkeiten liegen demnach dann vor, wenn sie “bei Forschung und Lehre anderen unterstützend zuarbeite[n]”.
[6] Gesetzlich 6 Monate in Hessen und 24 Monate in Berlin verankert.
[7] Exemplarisch: siehe Richtlinie von mind. 6 Monaten an der Universität Köln, WWU Münster, Universität des Saarlands oder etwa 12 Monate an der Europa-Universität Viadrina.
[8] Drucksache 22/10532, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 04.01.2023.
[9] Siehe 1.

**Die erste Version des Positionspapiers gab fälschlicherweise an, dass fast 60 % der Vertragsverhältnisse von studentischen Beschäftigten (Hilfskräften und Tutor*innen) an Hamburger Hochschulen Tutor*innenverträge seien. Der korrekte Anteil beläuft sich auf 42,29 %. 

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